Kleider machen leute
In Sekundenbruchteilen machen Kleider Leute
Amerikanische Psychologen untersuchen die Wirkung von ärmlichen und noblen Kleidern und bestätigen damit Gottfried Keller.
Menschen beurteilen ihre Mitbürger innerhalb eines Bruchteils einer Sekunde aufgrund ihrer Kleidung, schreiben US-Psychologen der Universität Princeton im Fachblatt «Nature Human Behaviour». Dass sich Menschen vom äusseren Erscheinungsbild beeinflussen lassen, ist bekannt. Schon Gottfried Keller widmete seine 1874 erschienene Novelle «Kleider machen Leute» diesem Thema.
Diese Aussage überprüften die Forscher und erstellten für ihr Experiment manipulierte Porträtbilder. Darauf war ein Gesicht eines Menschen und der obere Teil des bekleideten Oberkörpers zu sehen. Das Gesicht und den Oberkörper konnten die Forscher dabei frei kombinieren. Die Forscher montierten ein und dasselbe Gesicht sowohl auf Bekleidung, die von einer Jury zuvor als «reicher» bewertet wurde, als auch auf «ärmer» wirkende Bekleidung. In mehr als 80 Prozent der Fälle wurde ein und dasselbe Gesicht als fähiger eingestuft, wenn es auf einen Oberkörper mit «reicher» wirkender Kleidung montiert war. Der Effekt stellte sich sogar ein, wenn den Probanden das Bild für nur 129 Millisekunden gezeigt wurde. Das reicht den Forschern zufolge gerade einmal, um zu realisieren, dass man ein Gesicht gesehen hat. Selbst als die Studienteilnehmer explizit aufgefordert wurden, nicht auf die Kleidung zu achten, hielten sie mehrheitlich Gesichter mit reicher wirkender Kleidung für fähiger.
«Die von uns beobachteten deutlichen und beständigen Effekte stimmen mit theoretischen Arbeiten und empirischen Beobachtungen überein», schrieben die Forscher. «Es zeigt sich eine starke Tendenz, dass Menschen mit niedrigerem ökonomischen Status als weniger fähig empfunden werden.» Das führe häufig zu sozialer Ausgrenzung mit Nachteilen für die körperliche und psychische Gesundheit. (dpa)
erschienen am 27.12.2019, 05.00 Uhr im St.GallerTagblatt